Ich nehme den kleinen quadratischen Deckel ab, nachdem ich die Styroporschale, die in meine Handmulde passt, aufgetaut habe. Darunter kommen zwei winzige Plastikpäckchen zum Vorschein, eines mit gelbem Senf, eines mit Sojasauce. Ich lege beide zur Seite und ziehe das Plastik vom Inhalt der Schale ab. Ein paar der kleinen hellbraunen Bohnen bleiben kleben und ziehen lange schleimige Fäden. Ich quetsche den Senf und die Sauce über den Inhalt und rühre der Empfehlung gemäß mit der Gabel kräftig um. Die Bohnen werden dabei immer schleimiger. Der Schleim ist gelblich weiß und das Ganze stinkt zwar nicht, aber es riecht auch nicht wie etwas, das ich gerne essen würde.
Spermidin im Blut
Nattō heißt dieses traditionelle japanische Gericht aus fermentierten Sojabohnen. Ich bin zunächst im Zusammenhang mit Anti-Aging darauf aufmerksam geworden. Denn japanische Untersuchungen zeigten, dass Menschen, die es häufig essen, überdurchschnittlich viel Spermidin im Blut haben. Spermidin, das ist jener Stoff, der die sogenannte Autophagie auslöst, also den Selbstreinigungsprozess unserer Zellen, der normalerweise nur durch Fasten in Gang kommt. Spermidin, in großen Mengen etwa auch im Cheddar-Käse enthalten, hält also geistig und körperlich frisch und jung.
Altes japanisches Hausmittel
Die japanische Volksmedizin schreibt Nattō schon seit Jahrhunderten eine gesundheitsfördernde Wirkung zu. Seine Heilkraft kommt neueren Untersuchungen zufolge vor allem von dem Enzym Nattokinase, das Ablagerungen zersetzt, die wahrscheinlich neurodegenerative Erkrankungen (meist altersbedingter Verlust von Nervenzellen und Zellfunktionen) verursachen.
Das Gegenteil von Tofu
Dann las ich noch, dass japanische Frauen ihren Männern, wenn sie zu viel Sex wollen, Tofu geben, und wenn sie zu wenig wollen, Nattō. Ist dieses Nattō also das ultimative Anti-Aging- und Powerfood? In meinem Gefrierfach befinden sich jedenfalls 14 dieser kleinen Schalen, eine für jeden Tag, was schon eine ziemlich hohe Nattō-Dosierung ist. Eine Ernährungsberaterin hatte gemeint, eine halbe Schale am Tag, zwei bis vier Mal die Woche, sei auch genug, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Tiefgefroren aus dem Asia-Supermarkt
Zu bekommen war Nattō in dieser Form gar nicht so einfach. Im Internet kursieren zahlreiche Rezepte, aber ich wollte es mir etwas einfacher machen. Ich fand heraus, dass größere Asia-Supermärkte Nattō in ihren Gefriertruhen liegen haben, und wurde tatsächlich bei zwei dieser Märkte an der Wiener linken Wienzeile nahe dem Naschmarkt fündig.
Schnelle Wirkung
Irgendwie kriegte ich die Bohnen hinunter und schaffte es sogar, sie davor zu zerkauen. Ihr Geschmack ist nicht besonders intensiv, aber glaub mir, du wirst ihn nicht mögen. Ich schaffte es trotzdem, fast eine Woche lang meine geplante tägliche Ration zu essen. Ob mich das vor neurodegenerativen Erkrankungen schützte und die Autophagie in meinem Körper auslöste, kann ich nicht sagen. Allerdings halte ich es aus einem einfachen Grund für möglich. Denn eine andere Wirkung, die dem Nattō nachgesagt wird, trat unmittelbar ein: Die japanischen Frauen, die ihren faulen Männern die kleinen fermentierten Bohnen gaben, wussten offenbar, was sie taten. Diese Form der Erdenergie war mir sogar so lästig, dass ich nach sechs Tagen mit Nattō wieder aufhörte. Ich fühlte mich ohne Bedarf als Getriebener meiner Hormone.
Wirkung nicht bei allen Männern
Immerhin war die Wirkung so bemerkenswert, dass ich allen meinen Freunden, vor allem jenen über fünfzig, davon erzählte. Dabei machte ich eine Entdeckung, die etwas mit einem Phänomen zu tun hat, das der Ayurveda-Spezialist Ashish Bhalla in seinem Buch Böse Heiler – Wie Sie die Scharlatane in der Alternativmedizin erkennen beschreibt: Die meisten Hausmittel funktionieren nur innerhalb ihres kulturellen Kontextes. Denn bei den meisten Männern blieb diese sagenhafte Wirkung von Nattō aus, nur einer, der wie ich Veganer ist, beobachtete sie ebenfalls an sich. Was auch ein Grund dafür sein könnte, warum Nattō in Japan als Potenzmittel aus der Mode zu kommen scheint: Früher aßen die Japaner kaum Fleisch und keine Milchprodukte, heute ist das anders. Womit Nattō, wenn sich meine Beobachtung verallgemeinern lässt, an Wirkung verliert.
Therapie für Libido-Probleme?
Ich bin kein Arzt und schon gar nicht Hormonspezialist oder Urologe. Aber als solcher würde ich Patienten, die an Problemen mit ihrer Libido leiden, empfehlen: Probier es mal mit konsequenter veganer Ernährung und einer Schale Nattō am Tag. Schaden könnte das ja nicht, sondern nur nutzen.
Fazit
Ich schaffte es nicht, meinen Nattō-Selbstversuch zwei Wochen durchzuhalten. Vor allem liegt das am Geschmack. Drei Wochen nach meinem Selbstversuch dachte ich noch: Das gibt’s ja nicht, ein junges frisches Gehirn und ein junger frischer Körper, da kommt es doch auf den Geschmack und eine seltsame Nebenwirkung nicht an. Diesmal gab ich allerdings bereits nach zwei Tagen wieder auf. Vielleicht ist das Leben ohne Nattō kürzer, dachte ich, aber dafür schöner. Für mich zumindest. Probier es selbst!
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