Autofahren, Fleisch essen und mit dem Flugzeug in den Kurzurlaub: Wenn wir den Planeten retten wollen, müssen wir unsere Gewohnheiten ändern. Bloß ist das nicht so einfach, denn sie haben eine Macht, die wir oft unterschätzen, wie ich auch in meinem Buch Die Kunst des richtigen Maßes – Wie wir werden, was wir sein können zeige. Wir sind in unseren Gewohnheiten gefangen, mit vielfältigen Folgen. Sie machen uns zum Beispiel kalkulierbar. Fast-Food-Ketten, Hollywood, Internetkonzerne, sie alle wissen das. Sie analysieren unsere Gewohnheiten, um uns ihre Produkte zu verkaufen. So treffen wir die meisten unserer rund 200 täglichen Essensentscheidungen aus Gewohnheit. Es ist kein Zufall, dass alle McDonald’s-Filialen gleich aussehen und McDonald’s-Burger überall gleich schmecken. Serien auf Netflix können uns deshalb süchtig machen, weil wir uns von Folge zu Folge mehr zu Hause in ihnen fühlen.

Wir sind nicht die Herren über unser Handeln

Unser ganzes Leben basiert auf einem Fundament von Gewohnheiten. Studien haben gezeigt, dass wir tagsüber zwischen einem Drittel und der Hälfte der Zeit Dinge tun, ohne darüber nachzudenken. Aufstehen, Zähneputzen, duschen, anziehen, Frühstück zubereiten, Geschirrspüler einschalten, Wohnungstür absperren, Auto fahren. Wir erledigen das wie gut geölte Automaten. Wir halten uns für die Herren über unser Handeln, doch in Wirklichkeit sind wir es nicht.

Alles beginnt mit Neugier

Die wahren Herren über unser Handeln sind unsere Gewohnheiten. Wie entstehen sie? Alles beginnt mit Neugier. Wir probieren etwas aus, und wenn es klappt, freuen wir uns und machen es wieder. Mit jeder Wiederholung gräbt sich der Ablauf in unsere Basalganglien ein. Deshalb erfordert es geeignete Maßnahmen, wenn wir unsere Gewohnheiten wieder ändern wollen.

Die Vorschläge der Verhaltenspsychologie

Die Verhaltenspsychologie hat dafür sechs Vorschläge:

Erstens. Konkrete Pläne bringen mehr als abstrakte Ziele. Sagen wir also nicht: „Ich esse weniger“, sondern nehmen wir uns vor: „Ab jetzt esse ich an Wochentagen statt Kuchen Obst als Nachspeise.“

Zweitens. Positive Absichten wirken besser als negative. Denken wir also nicht: „Ab jetzt sage ich kein böses Wort mehr zu diesen und jenen Kollegen, die mich durch ihre bloße Existenz provozieren.“ Nehmen wir uns lieber vor: „Ab jetzt lächle ich sie an.“

Drittens. Wir brauchen einen Plan, wenn wir unsere Gewohnheiten ändern wollen, und wir müssen von ihm überzeugt sein, damit er funktioniert. Wir sollten uns also zunächst mit Block und Stift hinsetzen, einen schreiben und ihn immer wieder in Gedanken durchspielen.

Viertens. Wir gehen beim Ändern unserer Gewohnheiten besser verständnisvoll als radikal mit uns um. Das verbessert unsere Erfolgsaussichten und bedeutet im Kern: Kleine Schritte sind besser als große. Es reicht auch, wenn wir den Kuchen als Nachspeise zunächst nur jeden Dienstag und Freitag durch Obst ersetzen, statt an jedem Wochentag. Und wir sollten uns auf einen Bereich nach dem anderen konzentrieren, nicht auf alle Bereiche gleichzeitig. Fangen wir mit den Dingen an, die uns eher leichtfallen, wie zum Beispiel mit dem Verzicht auf das böse Wort, der relativ unmittelbare Vorteile bringt. Konzentrieren wir uns auf die für uns schwierigen Bereiche, zum Beispiel auf das richtige Maß beim Essen, erst, wenn der Muskel unserer Willenskraft sich schon wölbt.

Fünftens. Gehen wir Auslösern aus dem Weg. Wer bei Fast Food schwach wird und jeden Tag an einer Burger-Bude vorbeikommt, sollte einen anderen Weg zur Arbeit nehmen. Wer beim Fernsehen immer Kartoffelchips isst, sollte lieber Bücher lesen. Wer bei Vollmond besonders anfällig für Wutanfälle ist, sollte am Handy eine Online-Warnung einstellen und an den betreffenden Tagen heikle Situationen meiden.

Sechstens. Belohnen wir uns. Neue Gewohnheiten bleiben uns nur erhalten, wenn sie sich irgendwann gut anfühlen. Was sich durch kleine Geschenke für unser Gehirn unterstützen lässt. Was könnten Sie Ihrem schenken, wenn Sie eine Woche Ihrem Plan mit der Nachspeise treu geblieben sind?

Gewohnheiten mit ihren eigenen Waffen schlagen

Zu einem guten Plan beim Ändern von Gewohnheiten gehört übrigens auch ein psychologisches Hausmittel, das wir als Wenn-Dann-Taktik bezeichnen könnten. Wir sagen uns zum Beispiel: Wenn ich kurz davor bin, den Kühlschrank zu plündern, verlasse ich das Haus und gehe eine Runde spazieren. Wenn ich spüre, dass ich gleich ein böses Wort verlieren werde, denke ich an etwas Schönes. Wenn der Moment gekommen ist, in dem ich mir immer eine Zigarette anzünde, gehe ich in die Küche und hole mir ein Glas Wasser. Solche Wenn-Dann-Taktiken helfen uns, unsere Gewohnheiten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Denn wir ersetzen dabei einen alten Mechanismus durch einen neuen. Unversehens graben sich neue Abläufe in unsere Basalganglien ein.

Zu meinem Buch Die Kunst des richtigen Maßes – Wie wir werden, was wir sein können geht es hier.