Ein Kommentar von Professor DDr. Johannes Huber.

Loslassen vom Überschuss ist das Herz geistigen Wachstums, sagte der Dalai Lama. Ist das in einer digitalen Welt, in der wir uns alles, was wir wollen, per Handy frei Haus bestellen können, noch mehr als eine Phrase?

Ist es, aber nicht bei den Usern und Konsumenten dieser Welt, sondern eher bei ihren Machern im Silicon Valley. Jack Dorsey zum Beispiel, unter anderem Gründer des Nachrichtendienstes Twitter und inzwischen Multimilliardär, isst nur ein Mal am Tag, und um seine will power zu trainieren, steigt er jeden Tag nach dem Aufwachen um Punkt fünf Uhr in ein Eisbad.

Die Kunst des richtigen Maßes

Ideen durch Verzicht, Weisheit durch Weglassen, das ist seine Philosophie, die er unter anderem mit Phil Libin teilt. Der Erfinder des elektronischen Notizbuches Evernote und einer der innovativsten EDV-Unternehmensgründer der Welt, verzichtet regelmäßig zwischen zwei und acht Tage am Stück gänzlich auf Essen, um sich geistige Klarheit zu erarbeiten. Mehr dazu auch in meinem neuen Buch Die Kunst des richtigen Maßes – Wie wir werden, was wir sein können.

Erstaunlicherweise verlangen die Eliten diesen Verzicht sich selbst ab, nicht aber ihren Mitarbeitern. Auf der Payroll von Google und Facebook zu stehen, heißt ganz im Gegenteil, zur Völlerei geradezu animiert zu werden. Die Mitarbeiter bekommen in den Betriebskantinen täglich gratis All you can eat in der Gourmet-Variante. Das hat die Begriffe Google 15 und Facebook 15 hervorgebracht. Sie bezeichnen jene 15 Pfund, die neue Mitarbeiter im Schnitt an Körpergewicht zulegen.

Der geheimnisvolle Weg nach oben

Die einen lenken, die anderen folgen. Die einen wachsen, die anderen dienen. Die Elite will keine Konkurrenz, und sie weiß sehr genau, wie sie entsteht. Josef Pieper, ein deutscher Philosoph des 20. Jahrhunderts, formulierte das Prinzip schon Jahrzehnte vor der Erfindung des Internet so: Auch der einfache Mensch ist in der Lage, zur Elite zu werden, aber er muss sich selbst bemühen. Man muss sich alles etwas kosten lassen, konkret Verzicht üben, um das Wesen des Menschen zu verwirklichen und eine sich selbst besitzende freisittliche Person zu werden.

So steht es letztendlich auch schon in der Bibel. Fasten klärt den Geist.  Weglassen weist den Weg. Das richtige Maß öffnet den Himmel.

Wir können daraus die Frage ableiten: Was alles ist für uns Menschen möglich, wenn wir uns im richtigen Maß üben? Wie groß können wir werden? Wie lautet der biblische Satz von der Öffnung des Himmels in der Sprache unserer Seele? Hier als Vorschlag eine Übersetzung Leonardo da Vincis: Die Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung. Zu meinem Buch geht es hier.

Der Autor. Prof. DDr. Johannes Huber studierte Medizin und Theologie. Von 1992 bis 2011 war er Leiter der klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Er ist in Wien als Arzt tätig, seine Vorträge machten ihn im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt.